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Das Fremde in uns und wir im Fremden

Abstract

Das war der Titel einer Veranstaltung, die in Berlin stattfand. Ort war die Bibliothek am Luisenbad; wohl nicht nur ich würde den dortigen Kiez nicht als „Berlin-Mitte“ sondern immer noch als Wedding bezeichnen. Die Sozialdaten der räumlichen Umgebung lassen sich dem aktuellen Sozialstrukturatlas oder dem Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2008 entnehmen. Große Teile der Bevölkerung haben den sozialstatistischen Status „mit Migrationshintergrund“ (im Jargon: mMh). Jener Status entsteht daraus, dass Personen, die selbst eingewandert sind oder eingewanderte Eltern(teile) haben, eingebürgert werden. Während das Recht nur Deutsche und Ausländer unterscheidet, kennt die Statistik seit dem Mikrozensusgesetz 2005 also Ausländer, Deutsche Ex Ausländer, Deutsche. Die immer noch zu geringen Einbürgerungen ermöglichten Gesetzesänderungen im Staatsangehörigkeitsrecht (aus RuStAG wurde StAG...). Ein in Berlin entstandener Mythos führt diese Änderungen auf das Zuwanderungsgesetz zurück; philologische Akribie könnte den Nachweis führen, wie sich dies durch bibliothekarische Literatur gefressen hat – forget it. Faktenwissen, Recht, Sozialstruktur – ein Abgrund gähnender Langeweile, wo es doch mit großer Geste um das Fremde geht. Der große Abend wurde ermöglicht durch den Simon Verlag. VerlagsautorInnen lasen aus ihren Arbeiten; eine Podiumsdiskussion illustrer Gäste folgte. Zu einer dieser Arbeiten hatte ich nun schon lange vor, eine kleine Anmerkung zu verfassen. Nehmen wir die Berliner Erkundung des Fremden als Anlass, dass den Lesern dieses Beitrags die annotierte Arbeit nicht fremd bleibt. Es geht um: Die Bibliothek als Integrationsfaktor : die Vermittlung von Informationskompetenz an Menschen mit Migrationshintergrund von Maria Kabo. Die Arbeit entstand als Potsdamer Diplomarbeit 2007, dies ist auch der Stand, mag auch ein Vorwort bis Dezember 2008 und die Prüfung der Internetquellen bis Januar 2009 gehen. (Ergänzte Literaturhinweise stammen praktischerweise aus dem Simon Verlag.) Abrufbar ist sie online auch hier; die gedruckte Fassung erschien im Simon Verlag. Elisabeth Simon verlegt hier bibliothekswissenschaftliche Texte; da ihre Vernetzung im Bibliothekswesen besser ist als ihre verlegerischen Produkte, finden sich diese dennoch zügig in Bibliotheken. Als ich den Titel von Kabo gelesen hatte, war mir aus dem Verlag neben der braven Arbeit von Kaiser nur der von Ratzek und Simon herausgegebene Band 'Wirtschaftsförderung und Standortentwicklung durch Informationsdienstleistungen : das unterschätzte Potenzial von Bibliotheken' bekannt. Ein Titel, wo schlampiges Lektorat und belanglose Inhalte eine fruchtbare Symbiose eingehen. Unter den neueren Titeln finden sich der wichtige Beitrag von Kaden: 'Library 2.0 und Wissenschaftskommunikation' (auch hier hätte ein sorgfältigeres Lektorat Fehler ausbügeln können); sowie von Schulz: 'Soziale Bibliotheksarbeit – „Kompensationsinstrument“ zwischen Anspruch und Wirklichkeit im öffentlichen Bibliothekswesen'. Eine anregende Arbeit; die zentrale These (so schon in 'Zugang für Alle'), die die Notwendigkeit einer Ausdifferenzierung von „Sozialer Bibliotheksarbeit“ als eigenständigem Handlungsfeld zurückweist, teile ich nicht. Es gibt jedoch Momente, wo mir ihre These bei der Übertragung auf das Feld „Interkulturelle Bibliotheksarbeit“ nur allzu plausibel erscheint. Wenn jede bibliothekarische Arbeit an sich interkulturell ist, dann würde uns immerhin erspart bleiben, dass interkulturelle Bibliothekare mit der Beobachtung und Klassifizierung ihrer Zielgruppe zu viel Unsinn anrichten können. Kabo behandelt zwei große Bereiche: Informationskompetenz (auf diesen Aspekt gehe ich nicht ein) und deren Vermittlung – als „multikulturelle Bibliotheksarbeit“ - an eine spezifische Zielgruppe „Menschen mit Migrationshintergrund“. Kurz erwähnt wurde schon, dass die Bevölkerung mMh ein statistisches Konstrukt ist; ein Hintergedanke bei der Einführung war, die Diskussion über Einwanderung zu entdramatisieren: mit der Einbeziehung der Eingebürgerten erfasst man auch die, die im Durchschnitt sozial erfolgreicher sind. Bei Kabo wird daraus ein tatsächlich vorfindbares soziales Faktum. Sie nennt das Soziogruppe; ein in der Soziologie ungebräuchlicher Begriff. Dort kennt man (soziale) Gruppen, Schichten/Klassen, wichtig auch Milieus (Sinus-Milieus®). Den Begriff hat sie von Schultka übernommen, der im BD 2006 einen Beitrag zu einer Bibliothekspädagogig veröffentlicht hatte. Die Übernahme des Begriffs wird auch korrekt ausgewiesen; der explizite Hinweis von Schultka (S. 1479, Fn. 29), dass man bei der Zuordnung von Individuen zu diesen Gruppen äußerst vorsichtig zu sein habe, wird von Kabo nicht im Ansatz verstanden. Von Schultkas Soziogruppen, „die spezielle Informationsbedürfnisse haben und deswegen entsprechender besonderer pädagogischer Bibliotheksarbeit bedürfen“ führt sie auf „Behinderte, Homosexuelle und Migranten“. Das Ziel ist dabei Integration. Die Schwulen müssen also auch integriert werden – die wollen doch eigentlich nur ihre Geschlechtsteile nach Lust und Laune benutzen. (Religiöse Fundis versuchen jetzt mit schwuler Missionierung diese dazu zu bewegen, dass sie ihre Geschlechtsteile an den dafür vom lieben Gott vorgesehenen Ort integrieren. Gibt es eigentlich schon Diplomarbeiten zu Kirchen als Integrationsfaktoren?) Integration bleibt bei ihr – trotz eines Definitionsversuchs - ein weiterhin ungeklärter Begriff. Sie führt (S. 28f.) drei Elemente (bezeichnet mal als 'Aspekt' – also als beobachtbares Phänomen; mal als 'Phase' – also temporal) auf: kulturelle Assimilation der Migranten an die Mehrheitsgesellschaft; Pflege der Migrantenkultur; wechselseitige kulturelle Beeinflussung von Migranten und Mehrheitsgesellschaft. Die vage Absicht, Integration prozessual, offen, als Austausch zu sehen, bestätigt sich im Fortgang des Textes nicht. Tatsächlich sieht sie Migranten in einer erschreckend verdinglichten Form; die Individuen sind Träger feststehender Kulturmerkmale. Das elektronische Dokument ermöglicht es, über die Suchfunktion bei Eingabe von „ethnisch“ zu sehen, in welchen Zusammenhängen dieses Wort benutzt wird. Da wandern Migranten „in ethnisch fremder Gesellschaft“ ein – die moderne, vielfach differenzierte Gesellschaft als Ansammlung von Volksstämmen. Hier bekommt auch die – statistische! - Größe „mMh“ eine beängstigende Qualität: es sind Gefängnisse der Identität, in denen die heute lebenden Menschen mMh und ihre Nachkommen auf Ewigkeit einsitzen. Kabo spricht dabei vor dem eigenen biografischen Hintergrund als Spätaussiedlerin. Das ist völlig legitim. In einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit aber ist eine Formulierung, dass Spätaussiedler „wieder in ihre ethnische Heimat immigrieren“, fragwürdig. Spätaussiedler dort, Migranten hier - offensichtlich sind dies über Jahrhunderte unterscheidbare naturwüchsige Einheiten. Diskutiert wird das nicht, wie auch zum Thema Integration gibt es keinen einzigen (migrations-)soziologischen Titel, der angeführt wird. Doch, einen Titel gibt es: „Das Büchereiwesen der deutschen Minderheiten im Ausland : Geschichte, Organisation und Bedeutung ; 12. Konferenz deutscher Volksgruppen in Sankelmark, 9. - 12. September1993 / hrsg. von Alexander Ritter. - Erschienen: Flensburg : Inst. für Regionale Forschung und Information im Deutschen Grenzverein, 1997. - Schriftenreihe: Kolloquien zur Kultur der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppen im Ausland“. Spätestens hier sollte man allerdings aufhorchen. Ich habe im Bereich der interkulturellen Bibliotheksarbeit die Fräulein Rottenmeiers, die Integration mit dem erhobenen Zeigefinger betreiben, von der ganz-schön-bunt-hier-Fraktion der linksvölkischen Krankenpfleger unterschieden. Bei Kabo nun fällt es mir ziemlich schwer, das völkisch noch mit einem Beiwort links zu verknüpfen. Ich habe mir diesen von Ritter herausgegebenen Titel angesehen. Traurig genug, wenn man sich auf dessen einleitende Bemerkungen zu kultureller Identität, Minderheitenschutz und geistiger Heimat zustimmend bezieht. Die Probleme liegen allerdings tiefer. Hier geht es um die Unterstützung deutscher Minderheiten im Ausland. Weder 1997, schon gar nicht 2007 kann man sich hierzu äußern, ohne vorliegende historische Studien zur Volkstumsforschung einzubeziehen. Volksdeutsche Forschungsgemeinschaften, Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums, Deutsches Ausland-Institut (jetzt ifa), Wilhelm Schusters Weg von Bibliotheken für das Grenzlanddeutschtum bis zu jenem Schreiben, das man jetzt in der ZLB ausgestellt sah – schon mal was von gehört? Ich beglückwünsche die Autorin, dass sie mit dieser Arbeit ihr Diplom bestanden hat. Ist allerdings eine weitere Verbreitung nötig? Ich sehe hier in Hambu rg an den Ausleihungen, dass zum Thema ein Informationsbedarf besteht. Ich bezweifle, dass dieses Buch diesen angemessen deckt. Ist dies Fachliteratur (dort ohne Hinweis auf die online-Fassung), die zudem einen Verweis auf dem Bildungsserver und den Seiten von Informationskompetenz hat? Im Kapitel drei finden sich Ergebnisse einer Befragung Berliner Bibliotheken. Einen Eindruck, den man von Berliner und anderen deutschen Bibliotheken hatte, findet man hier als offene Selbstaussage. Das Eingeständnis von Hilflosigkeit zum Thema Bibliothek in der Einwanderungsgesellschaft ist ehrenwert. Nur ist das ein Schlaglicht auf eine aktuelle Situation, aber keine good practice, die Modell für eine interkulturelle Bibliotheksarbeit sein könnte. Diese Modelle liefert sie im vierten Kapitel. Es sind die immer wieder gleichen Beispiele. In 2009 hatten wir diverse Beiträge mit ihrer Darstellung. Die gegenseitige Referenzierung führt natürlich zu einer Aufblähung von zitierbaren Texten zu interkultureller Bibliotheksarbeit; jeder citation index beweist, dass deutsche Bibliotheken immer internationaler, interkultureller und interaktiver werden. Die Modelle gliedert Kabo nach altersspezifischen Gesichtspunkten. Ein richtiger Weg, der darauf verweist, dass man keineswegs darauf angewiesen ist, Konstrukte einer Bevölkerung mMh zu erstellen. Ein New Germans Program in Bibliotheken ließe sich auf der Grundlage der Frage nach Migrationsanlässen erstellen. Die Bedarfe von den high potentials bis zu den irregular migrants sind dabei ganz unterschiedlich. Man kann nach Lebenslagen derjenigen, die schon da sind, differenzieren und bibliothekarische Arbeit für spezifische städtische Sozialräume entwerfen (und dabei hat dann soziale Lage sicher größere Bedeutung als kulturelle Besonderung). Die bibliothekarische Ermöglichung sprachlicher Vielfalt als grundlegendem Menschenrecht ist ein weiterer Bereich, den man ohne Bezug auf statische kulturelle Identitäten thematisieren kann. Als alter Mann vom Mond kann ich mich hier nur in aller Bescheidenheit äußern. Ich wünsche mir einfach nur, von interkulturellen Bibliothekaren nicht gefangen, auf eine Stecknadel gepikt und in einer lepidopterologischen Vitrine als lunare Kultur ausgestellt zu werden.

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